Der GFUV erarbeitet Mindeststandards für die barrierefreie Nutzung der gebauten Umwelt und des öffentlichen Verkehrs speziell für blinde und sehbehinderte Menschen.
Der Fachausschuss schöpft aus dem Erfahrungsschatz Betroffener sowie professioneller Helfer, bezieht aber ebenso Ergebnisse praxisorientierter Untersuchungen in seine Arbeit mit ein.
Hauptgebiete der ehrenamtlichen Tätigkeit sind:
Der GFUV entwickelt u. a. Merkblätter und Broschüren zu den vorstehenden Themen, berät Bau- und Verkehrsträger, wirkt in DIN-Ausschüssen sowie zahlreichen beratenden Gremien mit und veranstaltet regelmäßig Informationstagungen für die Umwelt- und Verkehrsexperten der Mitgliedsverbände.
Im Gemeinsamen Fachausschuss für Umwelt und Verkehr sind
vertreten.
Der von der Hessischen Straßen- und Verkehrsverwaltung im Dezember 2006 herausgegebene Leitfaden „Unbehinderte Mobilität“ zeigt angeblich auf, „wie sich die beiden Anforderungen – Stufenfreiheit für Gehbehinderte und sichere Orientierung für Sehbehinderte – vereinbaren lassen.“ – Stimmt dies? – Bedauerlicherweise nein: Was blinden Menschen anhand der Empfehlungen des Leitfadens zugemutet werden soll, kann nach Ansicht des DBSV nicht akzeptiert werden.
Die entscheidende Neuerung besteht im Einsatz des „Kasseler Rollbordes“, dessen Name inzwischen in die neudeutsche Form „EASYCROSS® - Barrierefreie Leitsysteme“ abgeändert wurde. Dabei wird der senkrechte 3-cm-Bord als anerkannter Stand der Technik (1) durch einen Rampenstein ersetzt, der – mit Rücksicht auf Rollstuhl- und Rollatornutzer - in einer Schräge vom Gehweg auf das Straßenniveau hinunterführt. Behauptet wird, dass blinde Menschen trotzdem in ausreichendem Maße geschützt seien. Dies aber ist offensichtlich nicht der Fall, wie u. a. drei Exkursionen 2005 und 2006 mit betroffenen Langstockgehern und Mobilitätslehrern nach Kassel, Hofgeismar, Lischeid und Marburg (2) zu realisierten Modellquerungen gezeigt haben.
Der zur Straße hin geneigte Rampenstein hat vier Millimeter hohe, jedoch nur 16 cm lange Rippen. Werden keine ergänzenden Warn-Bodenindikatoren direkt dahinter eingebaut (deren Einbau zwar im Text des Leitfadens empfohlen wird, die jedoch bei vielen Richtzeichnungen und Fotografien fehlen), ist die Gefahr groß, dass der Schrägbord weder mit dem Blindenstock noch mit den Füßen wahrgenommen wird. Dies zeigten die Rückmeldungen der blinden Testpersonen bei den o. a. Exkursionen. So wurde häufig die Grenze Gehweg/Fahrbahn nicht sicher oder gar nicht erkannt.
Dass der Einsatz ergänzender Warn-Bodenindikatoren in vielen Fällen überflüssig sei, wird von den Autoren des Leitfadens begründet mit angeblich gleich bleibenden „Gehlinien“ blinder Langstockgeher. Diese Aussage steht jedoch im Widerspruch zu neueren Untersuchungen. So wurden z. B. 2001 in einer Hamburger U-Bahn-Station, die mit einem Blinden-Leitsystem versehen ist, „Lauflinien“ blinder Menschen beobachtet und zeichnerisch festgehalten. Dabei wurden drei stark voneinander abweichende Lauflinien festgestellt. Wer schon mit blinden Menschen im Straßenbereich trainiert hat, weiß, dass manche sich strikt an Hauswänden und Gartenmauern orientieren, andere sich dagegen von dieser „inneren Leitlinie“ lösen, sich von den Verkehrsgeräuschen leiten lassen und in der Mitte des Gehwegs gehen. Auch ist bekannt, dass es dabei immer wieder zu Orientierungsschwierigkeiten kommt – dass z. B. eine schmale Nebenstraße mit einer Hofeinfahrt verwechselt wird, da die beiden sich in ihrem akustischen Erscheinungsbild ähneln. Deshalb ist es zwingend notwendig, dass eine gut ertastbare und eindeutig interpretierbare Grenzlinie zwischen Gehweg und Straße die falsche Wahrnehmung korrigiert.
Bekannt sollte auch sein, dass bei Querungen breiter Straßen – wie etwa auf der Rathauskreuzung Kassel - erhebliche Abweichungen von einer geradlinigen Querungsrichtung zu erwarten sind. Dies zeigte sich auch bei der erwähnten Exkursion. Dass die Rollborde auf der Mittelinsel, die nicht mit Warn-Bodenindikatoren abgesichert sind, nach Einschätzung von Mobilitätslehrern und blinden Menschen daher eine erhebliche Gefährdung für blinde Menschen darstellen, ist seit Juli 2006 im Internet nachzulesen (2). Geschehen ist bisher jedoch nichts – im Gegenteil: Die Lösung ohne Warn-Bodenindikatoren wird im Leitfaden als vorbildlich zur Nachahmung empfohlen (Gestaltung der Querungssituation siehe Fotos auf Seiten 129 und 130 des Leitfadens; Richtzeichnung – allerdings mit verharmlosenden Dimensionen - Seite 68).
Während von den Autoren des Leitfadens der 3-cm-Bord im Querungsbereich als eine unüberbrückbare Hürde für Rollstuhl- und Rollatornutzer angesehen wird, stufen sie gleichzeitig diese Bordsteinkante für blinde Menschen auf eine bloße Orientierungsfunktion herunter. Sie berücksichtigen nicht, dass die Bordsteinkante das einzige eindeutige Warnsignal für Gefahr im öffentlichen Raum ist, das reflexartig durch den unerwarteten Niveauwechsel eine spontane Reaktion auslöst. Beobachtungen im Orientierungs- und Mobilitätsunterricht zeigen, dass u. a. bei mehrfachbehinderten blinden Menschen abwärts gehende Stufen und Kanten eine eindeutige Warnfunktion besitzen: Die Betroffenen stoppen auf der Stelle. Bodenindikatoren, die an Stelle von Bordsteinkanten verlegt werden, setzen hingegen, was häufig verkannt wird, hohe kognitive Fähigkeiten voraus. Dies gilt selbst beim Einsatz einer speziell entwickelten, unverwechselbaren Warnstruktur.
An Fußgängerfurten wird nach dem Leitfaden grundsätzlich die gesamte Querungsbreite mit Rollborden gestaltet. Einzige Ausnahme mit schmaleren Nullabsenkungen sollen jene Querungsstellen bilden, die „nur geringen Querungsbedarf“ haben – wobei es solche, mit aufwändigen Lichtsignalanlagen ausgestattete, aber selten genutzte Querungsstellen in der Realität jedoch praktisch nicht gibt. Demonstriert wurde diese Lösung des Leitfadens den Vertretern der Blindenorganisationen an einer schmalen Industriestraße mit exakt rechtwinkliger Querung und einer überdurchschnittlich laut tackernden „Blindenampel“. Von den Teilnehmern der Exkursion wurde darauf hingewiesen, dass diese Lösung, die gesamte Querung mit Rollborden zu gestalten, zwar an dem getesteten Übergang keine schwerwiegenden Probleme bereiten würde, dass Sicherheitsprobleme für blinde Menschen aber bei breiten Straßen oder komplexen Kreuzungen zu erwarten seien. Demgegenüber wird von den Autoren gefordert, dass an Furten Rollstuhl- und Rollatornutzer sowie Eltern mit Kinderwagen etc. gleichzeitig nebeneinander queren können. Wenn diese seltene Situation eintritt, ist dies ohne Frage für diese Personen komfortabel. Sollen deshalb aber blinde Menschen auf zuverlässige Orientierungsmöglichkeiten und wichtige Sicherheitsaspekte verzichten?
Es ist von der DIN 32984 gefordert und allgemein anerkannt, dass Bodenindikatoren von glatten, fugenlosen Bodenbelägen umgeben sein müssen, da sie sonst von blinden Menschen schlecht und im Extremfall nicht zu erkennen sind. Diese elementare Forderung wurde bei nahezu allen abgebildeten Beispielsituationen des Leitfadens nicht beachtet: Bodenindikatoren oder Rollborde sind – soweit erkennbar – praktisch ausnahmslos von fugenreichen, gefassten Bodenbelägen umgeben. Dies ist ein schwerwiegender Fehler.
Der Leitfaden beansprucht für das Land Hessen mehr als nur empfehlenden Charakter und für die übrigen Bundesländer eine starke Vorbildfunktion. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach den empirisch fundierten und ausgewiesenen Grundlagen, die speziell die Tauglichkeit des „Kasseler Rollbords“ (bzw. der „EASYCROSS® - Barrierefreie Leitsysteme“) für blinde Menschen untermauern. Es werden zwar in den theoretischen Abhandlungen Untersuchungen und Begutachtungen als Quelle angegeben; verborgen bleibt jedoch dabei, welche Erkenntnisse aus diesen wissenschaftlichen Veröffentlichungen entnommen wurden und welchen repräsentativen Stellenwert diese empirischen Untersuchungen einnehmen. Es gibt keine präzisen Verweise auf Forschungsergebnisse, die die postulierten Aussagen bekräftigen. Als in der Schweiz Überlegungen angestellt wurden, ob an Stelle der dort in der Norm festgeschriebenen 3-cm-Kante andere Lösungen denkbar wären, wurden Versuchsstrecken gebaut und eine größere Zahl blinder Menschen testeten, ob die in Erwägung gezogenen Lösungen blinde Menschen ausreichend sichern. Die Tests und Befragungen wurden dokumentiert und veröffentlicht. Eine vergleichbare dokumentierte Untersuchung sucht man im Leitfaden vergeblich. Befragungsergebnisse, die bei den durchgeführten Exkursionen von Seiten der Blindenorganisationen gesammelt worden waren, wurden nicht ernst genommen. Diese Organisationen bekamen vor der Veröffentlichung keine Einblicke in das Manuskript und die zugehörigen Fotos; Änderungswünsche bei den Richtzeichnungen wurden nur in geringem Ausmaß berücksichtigt. Gedruckte Exemplare erhielten sie erst Mitte Februar 2007, nachdem der Leitfaden bereits Wochen vorher bei allen entsprechenden Ämtern verteilt war.
Der DBSV verkennt nicht, dass in den Leitfaden „Unbehinderte Mobilität“ viel Engagement und Arbeit investiert und Innovatives versucht wurde.
Dennoch kann er im Interesse der Sicherheit blinder Verkehrsteilnehmer nicht empfehlen, die für Querungssituationen aufgezeigten Lösungen umzusetzen, bei denen der Einbau eines Bordsystems an Stelle des 3-cm-Bordes im Zentrum steht.
Wenn akzeptiert werden soll, dass der für blinde Menschen enorm wichtige Bordstein durch eine „Nullabsenkung“ unterbrochen werden darf, müssen die Empfehlungen des Leitfadens empirisch abgesichert und entscheidende Verbesserungen für blinde Menschen aufgenommen werden. So lange dies nicht der Fall ist, ist der DBSV verpflichtet, Planer und Kommunen vor der Übernahme der im Leitfaden empfohlenen Lösungsansätze zu warnen.
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(1) DIN 18024 Teil 1, Abs. 10.1. direkt 54, Bürgerfreundliche und behindertengerechte Gestaltung des Straßenraums. Ein Handbuch für Planer und Praktiker, Hrsg. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen, Berlin 2000, S. 26
(2) http://www.dbsv.org/dbsv/GFUV.html#Roll
Presseinformation
Berlin, 25. April 2007
Die noch bis zum 01. Mai 2007 laufende Petition beim Deutschen Bundestag verfolgt das Ziel, ein gesetzliches Verschlechterungsverbot im Bezug auf die Barrierefreiheit von Bahnhöfen festzuschreiben.
Ausgangspunkt war die Renovierung des Bahnhofs Oberkochen im Ostalkreis (Baden-Württemberg), bei der vorher ein zumindest barrierearmer Zugang u.a. über Aufzüge möglich war. Da nach internen Regeln der Deutschen Bahn AG jedoch ein barrierefreier Ausbau nur bei Bahnhöfen nötig ist, bei denen ein tägliches Fahrgastaufkommen von 1.000 überschritten wird, wurde in Oberkochen auf Lifte usw. verzichtet. Entsprechende Verbandsklagen blieben in allen Instanzen erfolglos, da die Gesetzeslage nicht eindeutig genug ausformuliert sei.
Dies hat den "Landesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte Baden-Württemberg e. V." in Baden-Württemberg dazu bewogen, eine öffentliche Petition zur Einführung eines sog. "Verschlechterungsverbots" beim Umbau von Bahnhöfen einzureichen. Erreicht werden soll eine klare Formulierung, mit der zumindest der vorhandene "barrierefreie Stand" beim Umbau nicht verschlechtert werden darf.
Dies hat grundsätzliche Bedeutung und wirkt sich auf Jahre hinaus auf die Zugänglichkeit von Haltepunkten und Bahnhöfen aus. Auch wenn im Text der Petition (siehe unten) die Bedürfnisse von blinden und sehbehinderten Reisenden nicht ausdrücklich erwähnt sind, beinhaltet die Forderung nach Erhaltung/Erweiterung der Barrierefreiheit auch eine blinden- und sehbehindertengerechte Gestaltung aufgrund des Programms zur Schaffung von Barrierefreiheit der Deutschen Bahn AG vom November 2005.
Der "Gemeinsame Fachausschuss für Umwelt und Verkehr (GFUV)" <http://www.gfuv.de> ruft alle Blinden und Sehbehinderten dazu auf, die Petition zu unterstützen. Eine Mitzeichnung ist auch online unter der Adresse http://itc.napier.ac.uk/e-Petition/bundestag/view_petition.asp?PetitionID=398 möglich. Der Petitionstext lautet:
Eisenbahnbaurecht: Barrierefreier Zugang zum Bahnsteig
Eingereicht durch: Landesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte Baden-Württemberg e. V., von Jutta Pagel am Mittwoch, 7. März 2007
Mit der Eingabe wird gefordert, den § 2 Abs. 3 der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung zu ändern und ein Verschlechterungsverbot in Sachen Barrierefreiheit zu verankern mit dem Ziel, dass ein vorhandener barrierefreier Zugang zum Bahnsteig bei baulichen Veränderungen erhalten bleibt oder hergestellt wird.
Begründung:
Die Herstellung der Barrierefreiheit gilt als ""Kernstück"" des Behinderten-Gleichstellungsgesetzes. Im Gesetzgebungsverfahren wurde es daher als zwingend angesehen, dass die Benutzung der Eisenbahnanlagen und Eisenbahnfahrzeuge nicht nur erleichtert, sondern in der allgemein üblichen Weise ohne besondere Erschwernis ermöglicht werde (BT-Drs. 14/8331 S. 52). Zugleich wurde allerdings nicht die Begründung des Gesetzentwurfes zu den finanziellen Auswirkungen der Regelung angepasst.
In Oberkochen (Ostalbkreis / Baden-Württemberg) waren die Bahnsteige barrierefrei zugänglich. Die Deutsche Bahn hat im Zuge von Baumaßnahmen den barrierefreien Zugang ersetzt durch eine Treppenanlage. Es gibt weder einen Aufzug noch eine Rampe. Mobilitätsbehinderte Menschen (z.B. Rollstuhlfahrer, gehbehinderte Menschen) können dadurch nicht mehr den Bahnsteig erreichen und den Zug nutzen. Sie werden auf den ca. 8 km entfernten Bahnhof Aalen verwiesen. Auch dieser Bahnhof ist - noch nicht - barrierefrei umgestaltet, so dass mobilitätsbehinderte Menschen nicht ohne fremde Hilfe die Bahn nutzen können. Eine eisenbahninterne Richtlinie sieht den Einbau von Aufzug oder Rampe erst bei einer Nutzung von 1.000 Reisenden / Tag vor. Diese Quote wird in Oberkochen nicht erreicht.
Barrierefreiheit nutzt allen Reisenden. Der Umbau in Oberkochen macht mobilitätsbehinderten Menschen die Reise mit der Bahn unmöglich. Der Umbau hat daher eine deutliche Verschlechterung gebracht.
Die Verbandsklage des Bundesverbandes für Körper- und Mehrfachbehinderte e.V. und des Bundesverbandes Selbsthilfe Körperbehinderter e.V. ist vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg abgelehnt worden. Ebenso hat das Bundesverwaltungsgericht die Revision zurückgewiesen. In der Urteilsbegründung wird auf die unvollkommene Regelung des § 2 Abs. 3 Satz 1 Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung verwiesen.
Die Klärung, ob ein barrierefreier Zugang zum Bahnsteig bei kleinen Bahnhöfen ersatzlos gestrichen werden darf, ist von allgemeiner Bedeutung, da die Deutsche Bahn angekündigt hat, in den nächsten Jahren sämtliche Bahnhöfe und Haltepunkte zu optimieren und umzubauen.
Ihr
Wolfgang Schmidt-Block (GFUV-Vorsitzender)
Michael P. Schmidt | Mobiltelefon (01 79) 4 78 48 10 | E-Mail michael.schmidt@gfuv.de
Der GFUV erarbeitet Mindeststandards für die barrierefreie Nutzung der gebauten Umwelt und des öffentlichen Verkehrs speziell für blinde und sehbehinderte Menschen. Der Fachausschuss schöpft aus dem Erfahrungsschatz Betroffener sowie professioneller Helfer, bezieht aber ebenso Ergebnisse praxisorientierter Untersuchungen in seine Arbeit mit ein. Hauptgebiete der ehrenamtlichen Tätigkeit sind:
Der GFUV entwickelt u.a. Merkblätter und Broschüren zu den vorstehenden Themen, berät Bau- und Verkehrsträger, wirkt in DIN-Ausschüssen sowie zahlreichen beratenden Gremien mit und veranstaltet regelmäßig Informationstagungen für die Umwelt- und Verkehrsexperten der Mitgliedsverbände. Im GFUV sind vertreten:
Mehr Informationen über den GFUV und zu seiner Tätigkeit finden Sie im Internet unter der Adresse http://www.gfuv.de.
Gemeinsamer Fachausschuss für Umwelt und Verkehr (GFUV)
c/o Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e.V.
H. Herrn Hans-Karl Peter
Rungestraße 19 | 10179 Berlin
Telefon (0 30) 28 53 87-19 | Telefax (0 30) 28 53 87-20
Der "Gemeinsame Fachausschuss für Umwelt und Verkehr (GFUV)" spricht sich für eine geringere Gefährdung von blinden und sehbehinderten Fußgängern auf Gehwegen durch Radfahrer aus und unterstützt die Petition der Initiative "CicleRide" an den Deutschen Bundestag.
In der Petition wird gefordert, die Benutzungspflicht von Radwegen durch ein Recht zur Benutzung in der Straßenverkehrsordnung zu ersetzen. Dies würde bedeuten, dass weniger Fahrradfahrer auf z.B. kombinierten oder nebeneinander liegenden Rad- /Fußwegen unterwegs sind und somit die Gefahr, dass blinde und sehbehinderte Fußgänger zu Schaden kommen, erheblich verringern.
Hier nun eine kurze Vorstellung der Petition:
"Radwege dienen nicht immer der Sicherheit des Radfahrers, leider ist sogar oft das Gegenteil der Fall – das Unfallrisiko auf einem Radweg ist 3- bis 12-mal höher als auf der Fahrbahn. Sie gaukeln dem unbedarften Fahrradfahrer eine trügerische Sicherheit nur vor. Durch Radwege werden Gefahren geschaffen, die beim Mischverkehr auf der Fahrbahn erst gar nicht möglich sind – wie z.B. die häufigen Unfälle mit abbiegenden PKW und LKW.
Weil sich Radwege weder als sicher noch als verkehrsgerecht herausgestellt haben, dürfen Radfahrer nicht gezwungen werden, sich dort zu gefährden. Eine Petition an den Deutschen Bundestag fordert nun die Umwandlung der Benutzungspflicht in ein Benutzungsrecht. Radfahren auf der Fahrbahn sollte wieder als Normalfall betrachtet werden – wer jedoch lieber auf Radwegen fährt, soll die freie Wahl haben. […]
Auch wenn Sie nie Rad fahren sollten Sie diese Petition unterstützen, denn als Autofahrer übersehen Sie keine Radfahrer auf der Fahrbahn und als Fußgänger steht Ihnen wieder der gesamte Gehweg zur Verfügung, wenn die StVO von den Straßenverkehrsbehörden und Verkehrsteilnehmern befolgt wird."
Der GFUV ruft dazu auf, sich an der Petition unter der Internetadresse http://www.radwege-petition.de zu beteiligen. Die Mitzeichnungsfrist endet am 27. April 2007. Vielen Dank für Ihre Mithilfe.
Ihr
Wolfgang Schmidt-Block (GFUV-Vorsitzender)
Gemeinsamer Fachausschuss für Umwelt und Verkehr (GFUV)
Der GFUV erarbeitet Mindeststandards für die barrierefreie Nutzung der gebauten Umwelt und des öffentlichen Verkehrs speziell für blinde und sehbehinderte Menschen. Der Fachausschuss schöpft aus dem Erfahrungsschatz Betroffener und professioneller Helfer, bezieht aber ebenso Ergebnisse praxisorientierter Untersuchungen in seine Arbeit mit ein. Hauptgebiete der ehrenamtlichen Tätigkeit sind:
Der GFUV entwickelt u. a. Merkblätter und Broschüren zu den vorstehenden Themen, berät Bau- und Verkehrsträger, wirkt in DIN-Ausschüssen sowie zahlreichen beratenden Gremien mit und veranstaltet regelmäßig Informationstagungen für die Umwelt- und Verkehrsexperten der Mitgliedsverbände. Im GFUV sind vertreten:
Mehr Informationen über den GFUV und zu seiner Tätigkeit finden Sie im Internet unter der Adresse http://www.gfuv.de.
Gemeinsamer Fachausschuss für Umwelt und Verkehr (GFUV)
c/o Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e.V.
Rungestraße 19
10179 Berlin
Inhalt:
2. Zusammenfassung der Ergebnisse 2
2. Bebelplatz Kassel 4
3. Rathauskreuzung Kassel 6
4. Ortsdurchfahrt Lischeid 7
5. Lischeid: Einmündung Lischeider - /Mengsberger Straße 8
6. Marburg 10
Anlage 1: Probleme bei totalen Nullabsenkungen – ein Bericht 11
Anlage 2: Lauflinien blinder Menschen – Auszug aus einer Untersuchung 12
Verfasser 13
Erkennt eine blinde Person die Grenzlinie zwischen Gehweg und Straße nicht, tritt deshalb auf die Straße – in der Meinung, noch auf dem Gehweg zu sein – bedeutet dies höchste Gefahr für Gesundheit und Leben. Erlebt eine blinde Person ein- oder mehrmals, dass ihretwegen schrille Bremsen quietschen, penetrant gehupt wird oder dass wildfremde Menschen sie von der Straße zerren, verliert sie das Selbstvertrauen, auch nur kleine, eigentlich bekannte Wege selbständig gehen zu können. (Ein Beispiel für eine solche Situation, die vor kurzem aus einer deutschen Großstadt berichtet wurde, ist als Anlage 1 beigefügt). Bauliche Maßnahmen, die derartige Situationen provozieren, widersprechen daher dem Behindertengleichstellungsgesetz, das als zentrales Element „Barrierefreiheit“ fordert, die folgendermaßen definiert wird : „Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, ... wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.“ (§ 4 BGG) Ebenerdige Übergänge von der Straße zum Gehweg (so genannte „ungesicherte Nullabsenkungen“), die blinde Menschen gefährden und ihnen die Selbständigkeit nehmen, widersprechen demnach ganz offensichtlich dem Benachteiligungsverbot des Behindertengleichstellungsgesetzes.
Nun hat vor einiger Zeit Fa. Klostermann aus Coesfeld in Zusammenarbeit mit dem Amt für Straßen- und Verkehrswesen Kassel einen berollbaren Formstein mit einer taktil wahrnehmbaren Oberfläche entwickelt, den "Kasseler Rollbord". Im Internet findet sich u. a. die Aussage: „Die Profilierung ist gem. DIN 32984 (Bodenindikatoren im öffentlichen Verkehrsraum) senkrecht zur Fahrbahn, d.h. parallel zur Fortbewegungsrichtung der blinden Person, ausgerichtet. So kann mit der Spitze des pendelnden Blindenstocks die Profilierung erfasst werden. Der besondere Aspekt dieser Lösung besteht darin, dass trotz einer Nullabsenkung die Sicherheitsbelange von Sehbehinderten und Blinden bewahrt bleiben.“
In Kassel, Lischeid und Marburg wurden soeben Pilot- bzw. Testprojekte von
Überquerungsanlagen mit Hilfe des Kasseler "Rollbords" fertig gestellt. Das
Ergebnis, dass sie Rollstuhl- und Rollatornutzer einen gut zu bewältigenden
Übergang von der Straße zum Gehweg ermöglichen, war sehr schnell erbracht. Als
schwierig erwies sich die Frage, ob die gestalteten Pilotprojekte auch blinden
und sehbehinderten Menschen ausreichende Sicherheit bieten, damit sie das
Prädikat „barrierefrei“ verdienen und als Vorbild für künftige Bauvorhaben
angesehen werden können.
Um dieser Frage nachzugehen, wurde am 10.06.06 eine Exkursion zu den o. a.
Pilotprojekten durchgeführt.
Fortsetzung: Kasseler Rollbord (RTF-Dokument)
Berlin, 05.06.2007
Zur barrierefreien Nutzung des Öffentlichen Personenverkehrs müssen blinden und sehbehinderten Fahrgästen die gleichen Informationen angeboten werden wie sehenden Menschen, jedoch in einer für sie wahrnehmbaren Form. Eine Fachtagung des „Gemeinsamen Fachausschusses für Umwelt und Verkehr (GFUV)“ erarbeitete vom 01. bis 03. Juni 2007 in den Räumen des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbundes in Nürnberg Eckpunkte für ein Anforderungsprofil. Rund 80 Teilnehmer, darunter Mitarbeiter von Selbsthilfeorganisationen, Vertreter von Verkehrsbetrieben, Orientierungs- und Mobilitätstrainern, wissenschaftliche Berater, Projektverantwortliche und Anbieter bereits verfügbarer und in der Entwicklung und Erprobung befindlicher Systeme aus Deutschland, Österreich, Italien, Tschechien und aus der Schweiz brachten ihren Sachverstand und ihre Erfahrungen ein.
Zu den dynamischen Fahrgastinformationen gehören an erster Stelle digitale Anzeigen in Bahnhöfen, auf Bahnsteigen, an Haltestellen und in den Fahrzeugen. Für Fahrgäste mit Sehproblemen muss auf gut lesbare und kontrastierende Schriften geachtet werden. Blinde Menschen benötigen akustische Informationen. Man unterscheidet haltestellen- und fahrzeuggebundene Systeme, etwa digitale Anzeigen der Linie, des Fahrziels und der in Echtzeit angezeigten Abfahrzeiten sowie die automatische Ankündigung einfahrender Fahrzeuge an Haltestellen, sowie fahrzeuggebundene Systeme für die Anzeige der Linie und des Fahrziels, des nächsten Halts, der Ausstiegsseite und der weiterführenden Anschlussmöglichkeiten in Bussen und Bahnen.
Neben dem in Nürnberg im Aufbau befindlichen haltestellengebundenen dynamischen Fahrgastinformationssystem der Bochumer Firma Eprovi wurde auch die haltestellengebundene Lösung DISA der Firma VKT aus Linz präsentiert. Haltestellengebundene Systeme verfügen über einen Tacker am Signalmast, einen Taster zum Start der Sprachausgabe von visuell angezeigten Informationen und über eine selbsttätige Ansage einfahrender Fahrzeuge. Um sie zu nutzen, benötigt man grundsätzlich kein Zusatzgerät. Die Abfrage dieser Informationen mittels eines Mobiltelefons ermöglicht die in der Erprobung befindliche Technik des Forschungsprojekts „mAIS“ aus Schleswig-Holstein.
Bei fahrzeuggebundenen Systemen werden alle Informationen vom Bordcomputer über Außenlautsprecher und Lautsprecher im Fahrzeug bzw. im Handsender wiedergegeben. Der Nutzer benötigt zur Aktivierung der Ansagen einen besonderen Funksender/-empfänger, den es auch in Kombination mit weiteren Anwendungen gibt. Vorgestellt wurde das PAVIP-System des Milestone-Herstellers Bones aus der Schweiz, das APEX-System aus Tschechien, welches in Dresden unter der Bezeichnung BLIS eingesetzt wird und das Produkt von ILIS-Leitsysteme aus Hannover. Jede dieser Lösungen unterscheidet sich von den anderen durch weitere Funktionen.
Auch die Deutsche Bahn stellte ihre bahnsteig- und fahrzeuggebundenen Infosysteme vor. Neu hinzu kommt ein digitaler Wagenstandsanzeiger, mit dem auch eine veränderte Wagenreihung aktuell dargestellt werden kann. Zusätzlich wird der jeweils nächste Zug durch eine größere Präsentation auf dem Anzeigefeld hervorgehoben.
Das Projekt „Nav4Blind“ aus dem Landkreis Soest gewährte einen Blick in die Zukunft der elektronischen mobilen Navigationsführung. Es soll eine dezimetergenaue Leitung mittels akustischer Ansagen und Vibrationselementen für Blinde und Sehbehinderte ermöglichen. Zum Einsatz hierzu kommen die verschiedensten Informationsquellen und Kommunikationswege, die in einem Mobiltelefon oder PDA barrierefrei zusammengeführt werden sollen. Dabei ist auch angedacht, die dynamische Fahrgastinformation mit einzubinden.
Verständigt haben sich die Tagungsteilnehmer auf Eckpunkte eines Anforderungsprofils, das spätestens bis zum 15. Oktober 2007 vorliegen soll. Die Fachleute aus allen Bereichen stimmten darin überein, dass die Präsenz qualifizierter Vertreter der Interessen Blinder und Sehbehinderter in den diversen Standardisierungs- und Normierungsgremien dringend verstärkt werden muss. Der Weg zu einer nationalen oder gar europäischen Normierung wird lang sein. Welche Standards einmal gelten werden ist völlig offen. Inzwischen geht die technische Entwicklung jedoch weiter. Die Vision, einmal ein einheitliches, flächendeckend verfügbares System zu haben, lebt also weiter.
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